Was ist Vergebung?
Von Marion Sigmund
Vergebung ist nach meiner Auffassung zu allererst einmal LIEBE. Vergebung ist eine allumfassende „Freisprechung,“ ein komplettes, befreites “Loslassen“ eines verletzenden Geschehens oder einer Handlung, die durch einen anderen Menschen verursacht wurde. Dies kann nur in Liebe geschehen und es bedeutet eine Befreiung für beide Parteien. Es ist Heilung und Bereinigung von Karma.
Karma ist als spirituelles Konzept zu verstehen *1, bei dem jede Handlung, geistig oder physisch, positiv oder negativ, unweigerlich eine Folge hat. Karma ist mit der Vorstellung an eine Wiedergeburt verbunden. Eine Art Ursache-Wirkung-Prinzip, wonach Handlungen in diesem Leben oder in einer nächsten Inkarnation bereinigt, ausgeglichen oder geheilt werden können.
Vergebung heißt Loslassen. Und Loslassen bedeutet, die Dinge so zu nehmen wie sie sind. Derjenige, der vergibt, lässt das verletzende Geschehen und seine eigenen, damit zusammenhängenden, verletzten Gefühle völlig los. Er akzeptiert dadurch das Geschehene und befreit sich von Altem. Er gibt dem anderen seine Rechte und seine Eigen-Verantwortung für seine Handlung zurück. Solange zwei Menschen (oder Gruppen von Menschen) durch eine Handlung energetisch verstrickt sind, solange diese Handlung nicht in Liebe durch Vergebung aufgelöst und geheilt wird, solange besteht für beide Parteien eine energetische Bindung, denn beide Parteien besitzen nach dem Resonanzgesetz einen Anteil an der geschehenen Handlung. Opfer und Täter bedingen einander.*2
Derjenige, der vergibt, gibt (von Ver-geben) die Entscheidung des "Täters" zu seiner schlimmen Handlung aus vollem Herzen an ihn zurück. In dem der Vergebene aus der Liebe heraus akzeptiert was geschehen ist – also loslässt-, wird das energetische Band zwischen ihm und dem Täter und der schlimmen Tat durchtrennt. Es entsteht Freiheit und Frieden. Das lernen und leben einer allumfassenden Liebe macht das Loslassen und Akzeptieren "von dem was ist und was geschieht" erst möglich. Hier geht es auch um das Vertrauen, dass alles seinen Sinn hat, im irdischen Da-Sein und So-Sein. Die Aufgabe eines Heilers, egal welcher Richtung, sollte meiner Meinung nach diese Lebensweise der Liebe, des Vertrauens und der Vergebung beinhalten. Wir dürfen uns auf diesem Weg aber auch immer wieder selbst liebevoll in den Arm nehmen und uns vergeben, denn es gelingt nicht immer.
Wenn also kein Groll oder ungutes Gefühl zurückbleibt, ist die Vergebung gelungen, und der Vergebene ist energetisch ent-bunden und befreit. Dieses Loslassen und Akzeptieren des Geschehenen, hat nichts mit dem Gutheißen einer Tat zu tun, sondern einfach damit, dass man innerlich versteht, dass der jeder die volle Verantwortung für sein Tun übernimmt, egal wohin ihn seine Entscheidung auch führen mag oder geführt hat.
In der Vergebung wird das Energieband zwischen den Parteien und der betreffenden Handlung gelöst. Loslassen (lösen) bedeutet, die eigene Freiheit und Selbstbestimmung wieder(zu)-erlangen. Die unguten Gefühle und Belastungen, die durch die ehemals schlimme Handlung noch bei beiden Parteien im System gespeichert sind, werden "neutralisiert" und transformiert, auch wenn der Täter von der Vergebung gar nichts erfährt. Oft verändert sich danach im Verhalten oder in der Auffassung des Täters auch etwas dahingehend, dass sich ein gewisser Frieden und eine Erlösung einstellt. Da alles mit allem und jeder mit jedem verbunden ist, können Heilungen durch die Vergebung also "System-übergreifend" wirksam werden.
Das erleben zum Beispiel auch Beteiligte bei Familienaufstellungen, in denen bestimmte Familien-Konstellationen mit einem selbst und/oder nur mit Stellvertretern "aufgestellt" werden. Es geht oft um verletzende Themen, die zwischen Familienmitgliedern oder anderen Gruppen noch nicht bereinigt und geheilt wurden. Die Positionen in der Aufstellung, und die damit verbundenen Gefühle, der aufgestellten Personen zueinander werden zunächst abgefragt, und dann so lange korrigiert, bis alle ein angenehmes Gefühl in der Konstellation bekommen haben. Hier finden dann z.B. auch kurze Gespräche zwischen den aufgestellten Personen statt. In der Regel entsteht am Ende so etwas wie Vergebung und Frieden zwischen den aufgestellten Personen. Wer je die erlösenden und befreienden Gefühle in einer Familienaufstellung erlebt hat, weiß welche Harmonie hier eintreten kann.
Trotzdem bleibt die Verantwortung für negative Einstellungen und Handlungen, sowie deren Folgen bei jedem selbst. Das durch die Tat entstandene Karma, muss von jedem selbst erlöst und geheilt werden. Das ist nach der Auffassung des karmischen Konzeptes dann eine Aufgabe für das aktuelle Leben.
Vergebung ist ein guter Start für die Heilung von belastenden Verstrickungen, die noch in unserem System wirken, denn diese Verstrickungen zeigen sich oft auf körperlicher Ebene in Form von Krankheiten. Vergebung erzeugt dann "positives" Karma und schafft Ausgleich.
Negative Erfahrungen durch verletzende Worte oder Handlungen anderer und eigene gelebte Negativität in allen Facetten potenzieren sich energetisch im System bis zum teilweisen oder kompletten `Systemausfall´. Ungebremste Wut, Zorn, Hass, Aggressionen, Auto-Aggressionen, Auto-Immunerkrankungen, Unfälle, Schlaganfälle, Gehirnausfälle (Demenz, Alzheimer), Herzkrankheiten, Migräne, Rheuma, Darmerkrankungen, Hauterkrankungen, Tumore usw. können sich einstellen. Die Schutzmechanismen des Körpers sind völlig überlastet und können den Körper nicht mehr adäquat vor `Angriffen´ von außen schützen. Das Immunsystem versagt Stück für Stück, und wir packen mit unseren eigenen negativen Einstellungen und Ängsten immer noch ordentlich Last dazu.
Vergebung ist eine Sache des Herzens und beinhaltet Mitgefühl und Liebe. Und dies ist vor allem anderen erst einmal für uns selbst nötig. Wenn wir uns selbst vergeben und lieben können, dann ist auch die Grundlage für die Vergebung anderer gelegt. Schenken wir uns also zunächst selbst Liebe, Vergebung und Mitgefühl, für die selbst-verurteilenden Gedanken, wenn wir mal wieder nicht gut genug waren, oder wenn wir Streitereien begonnen haben, weil wir mit etwas anderem in unserem Leben unzufrieden sind, oder weil unsere Erwartungen nicht erfüllt wurden.
Wenn man sich selbst vergeben kann, kann auch Mitgefühl und Liebe für andere entstehen. Wie schon gesagt, bedeutet das nicht, alles gutzuheißen. In der Liebe zu SEIN, bedeutet ohne Bewertung und Be- oder Ver-Urteilung und Ver-Achtung hinzuschauen, was andere Menschen tun, und sie so zu lassen wie sie sind. In ihrer eigenen Verantwortung.
Jeder ist für sein Tun selbst verantwortlich, auch wenn dies andere schädigt. Die Ansammlung von Karma (ob positiv oder negativ) ist eine persönliche Angelegenheit. Karma ist eine Information oder "Prägung", die uns in der nächsten Inkarnation als Lebensaufgabe zur Verfügung gestellt wird. Belastetes Karma kann gewandelt werden, wenn wir uns entscheiden, Negatives zu stoppen und Positives in unser Leben einladen. Jede Entscheidung verändert die Zukunft und unser Karma. Ich denke, dass wir auf unseren Reisen durch die Inkarnationen nicht immer nur Opfer waren, sondern mit Sicherheit auch Täter. Aus diesem Verständnis heraus ist es gut, dass es Vergebung gibt. Es ist ein tolles Gefühl, wenn einem bei vollem Bewusstsein Vergebung zuteil wird.
Wieso verzeihen nicht das gleiche ist wie vergeben?
Ich denke, dass in der heutigen Zeit, der Unterschied zwischen Vergeben und Verzeihen nicht mehr so klar wie früher ist. Auch ich habe eine ganze Weile über den Unterschied gebrütet. Manch einer meint vielleicht aus aufrichtigem Herzen mehr "Vergebung" als "Verzeihung", ich jedoch finde, dass schon allein die Worte in sich eine andere Energie tragen. Die energetische Betrachtung beider Worte und deren Folgen halte ich für wichtig.
Joachim Schaffer-Suchomel *4 sagt dazu: „Verzeihen“ geht etymologisch auf das Wort „zeigen“ zurück. Wir zeigen mit dem Finger auf einen Menschen, um diesen z.B. anzuklagen. Die Silbe „ver-„ bedeutet „weg“. „Ver-zeihen“ heißt u.a. nicht mehr anklagend auf jemanden zeigen. Mit dem Verzeihen verzieht sich das Negative. Wenn wir „verzeihen Sie bitte, wie spät ist es“, sagen, dann bedeutet das im übertragenen Sinn, dass wir nur kurz stören möchten und den anderen gleich wieder in Ruhe lassen werden. „Entschuldigen Sie bitte …“ ist in diesem Fall nicht angebracht. Weil es nicht um Schuld geht. Das Denken in der Kategorie Schuld ist allerdings weit verbreitet und tief verwurzelt.
„Vergeben“ geht natürlich auf das Wort „geben“ zurück. Die Vorsilbe „ver-„ bei „ver-geben“ bedeutet, dass wir etwas Negatives, das wir durch jemanden erfahren haben, nicht als Retourkutsche zurückgeben, sondern es loslassen, indem wir es einer höheren Macht übergeben und den Ausgleich einer Schuld dieser höheren Macht überlassen. Hierfür sind wir nicht zuständig. (Zitat Ende)
Verzeihung ist nicht annähernd mit Vergebung zu vergleichen, obwohl es sicherlich fließende Übergänge gibt. Ich sage z. B. selbst rasch „Verzeihung“, wenn ich jemandem auf den Fuß getreten bin, und will damit sagen: „Es tut mir leid, dass ich dir auf den Fuß getreten bin.“ Der andere wird es sicher akzeptieren, aber wenn ich ihm, z. B. beim Tanzen, nun wieder auf den Fuß trete, wird er sich erinnern, dass ich das ja schon einmal getan habe. Diese Erinnerung hat er, trotz meiner Bitte um Verzeihung, abgespeichert. Es war eine kurzfristige, “ist OK“-Verzeihung von dem Getretenen, ohne Erlösung. Wenn ich ihm nun viele Male auf den Fuß trete, werden auch viele Bitten um Verzeihung nichts nützen, denn sie sind so zu einer leeren Floskel geworden.
Meiner Meinung nach ist um Verzeihung bitten keine große Sache, sondern eher eine reflexartige Erziehungsfloskel. Sie erfordert keine allumfassende Liebe und kein großes Hinschauen, oder sich ändern. Um Verzeihung bitten, ist in meinen Augen ein mildes Abfordern von `Verständnis´ für das Geschehene. In unserer schnelllebigen Zeit vielleicht eher ein Ausdruck von sozialer Kompetenz, aber nicht von spiritueller Entwicklung. Verzeihung erfordert kein Freisprechen und Loslassen, und es erfolgt keine `Löschung´ der negativen Gefühle oder der energetischen Bande zwischen den Beteiligten.
Wenn jemand einen anderen ernsthaft verletzt, kann dieser nicht mehr nur kurz um Verzeihung bitten, wenn es sich um eine schlimme Handlung, mit vielleicht die tödliche Folgen handelt. "Verzeihung bitte“, wäre hier äußerst unangemessen.
Wenn ein Straftäter nach abgebüsster Strafe wieder aus dem Gefängnis entlassen wird, hat er, weltlich gesehen, seine Strafe verbüßt, spirituell lastet die Tat noch immer auf seiner Seele. Sollte ihm bis dahin keine Vergebung zuteil geworden sein, weder durch ihn selbst oder durch den/die Betroffenen, wird dies sein Karma belastet haben. Die Tat bleibt als Erinnerung in beiden Systemen gespeichert *3.
Nach Auffassung des karmischen Konzepts bleiben diese Begebenheiten nach dem Tod in der Geist-.Signatur dieser Individualitäten erhalten, und werden in die nächste Inkarnation als Aufgabe hinein-genommen.
Wie oben schon erwähnt: Vergebung und Liebe für sich selbst, und Vertrauen und die Annahme des "Hier und Jetzt", sind meiner Meinung nach die Vorraussetzung, um auch anderen Menschen Vergebung angedeihen zu lassen.
Unser Lebenssinn als Individuen ist, meiner Meinung nach, der Weg der allumfassenden Liebe. Dies ist, wie wir alle wissen, gar nicht so einfach in unserer Menschlichkeit. *2
Wer sich jedoch für den Weg des Herzen entscheidet, der ändert seinen Lebensweg, und den der anderen entscheidend. Wer sich für Positives entscheidet, erschafft eine positive Zukunft. Nach dem Resonanzgesetz, folgt die Energie der Aufmerksamkeit. Hierdurch kann auch nach Auffassung des Karma-Konzeptes das Karma bereinigt und geheilt werden. Eine gute Investition in die Zukunft.
Hilfreiche Quellen
* 1 =Wikipedia
* 2 = Bernard Jakoby, "Die Brücke zum Licht" rororo, 2005 und "Das Erwachen der Liebe" Nymphenburger, 2012, Bernard Jacoby arbeitet in der Sterbeforschung.
* 3= Ulrich Krämer, "Mindwalking", Jentschura-Verlag, 2008: Ulrich Krämer ist Psychologe und Therapeut. Er untersucht und behandelt Belastungen die u.a. auch aus anderen Inkarnation mit in dieses Leben hinein schwingen.
* 4= Joachim Schaffer-Suchomel, "Du bist was du sagst", mvg-Verlag 2011, "Die Symbolik der Buchstaben", Goldmann 2015 und "Nomen est Omen" Arkana 2009, Joachom Schaffer-Suchomel beschäftigt sich mit der Energie von Buchstaben, Wörtern und der Bedeutung von Sprache und Namen.